Kai Friedrich

«Es ist ein Privileg, diesen Beruf mit Freude auszuüben»

bettina-birkner-©-kai-friedrich_250702-2 (Foto: Kai Friedrich)

Am 6. Juli haben wir Pfarrerin Bettina Birkner aus unserer Kirchgemeinde verabschiedet. Hier blickt sie zurück auf prägende Begegnungen, Herausforderungen und Hoffnungen – und erzählt, wie sie Kirche als tragende Gemeinschaft erlebt hat. Ein Interview über Vertrauen, Zusammenarbeit und neue Schritte.
Mit deinem Abschiedsgottesdienst hast du dich 1’738 Tage lang zu «100 Prozent» in den engagierten Dienst unserer Kirchgemeinde gestellt: Was hat sich in dieser Zeit durch dich verändert - und was hat dich verändert?

Der Einstieg während der Covid-Zeit war nicht einfach, doch diese Phase schenkte mir Zeit, einzelne Menschen intensiver kennenzulernen. Ich konnte Beziehungen aufbauen und Menschen in schwierigen Momenten begleiten, was mich tief berührt hat. Ein «Überbleibsel» aus dieser Zeit sind die Geburtstage vieler Menschen, die ich mir damals notiert habe und heute noch als Erinnerung angezeigt bekomme.

Die vielen Projekte und Begegnungen – von der Weindegustation über das «Seele-Ausmalen» bis zum Feuer auf dem Kirchenplatz – haben mir gezeigt, wie Gott mir gute Menschen zur Seite stellt und ich Vertrauen in meine Ideen entwickeln durfte. Ich habe erlebt, wie tragend und lebendig unsere Gemeinschaft ist und wie viel Freude es bereitet, Kirche mitzugestalten.

Besonders wertvoll war mir die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche, mit Freikirchen und den muslimischen Gemeinschaften. Persönliche Verbindungen sind entstanden, die Raum für ehrliche Gespräche und gegenseitige Unterstützung boten. Auch die Arbeit in der Integrations-Kommission hat meinen Blick für die Vielfalt in unserer Kirche geschärft. Ich bin überzeugt vom System der Landeskirche und empfinde es als Privileg, meinen Beruf mit Freude auszuüben.

In welchen deiner Arbeitsbereiche hast du besonders eindrückliche oder überraschende Erlebnisse gehabt?

Es hat mich überrascht, wie viel Freude Besuche machen – mir und den Besuchten. Diese persönlichen Begegnungen geben Kraft und zeigen, wie simpel es sein kann, Freude zu schenken und Verbundenheit zu leben.

Mich hat es immer begeistert, Menschen in ihren Begabungen zu fördern und zu erleben, wie sie durch kleine Impulse Mut finden, Herausforderungen anzupacken. Besonders gefreut hat mich die engagierte Unterstützung der Freiwilligen, zum Beispiel beim Waffelsonntag oder beim Missionssonntag mit «Mission am Nil».

Die Zusammenarbeit mit Kirchenvertreterinnen aus Tansania und die herzliche Gastfreundschaft der muslimischen Gemeinschaften haben mich tief beeindruckt. Besonders wertvoll war auch die erlebte echte Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche vor Ort, die von einem gemeinsamen Anliegen getragen wird.

Im Juni hast du einen «Gottesdienst Innovation» geleitet: Bei welchen Themen siehst du ungenutzte Potenziale in unserer Ortskirche?

Ich sehe grosses Potenzial darin, Menschen mit ihren Talenten und Ideen stärker einzubinden, insbesondere junge. Es braucht Geduld und Vertrauen, ihnen Verantwortung zu übertragen und ihnen aktiv zuzuhören.

Wichtig ist auch, Brücken zwischen Altersgruppen und zwischen klassischen Gottesdienst-Elementen und moderneren Formen zu bauen. Wir können von anderen Gemeinschaften lernen und Schnittstellen besser nutzen, um voneinander zu profitieren. Offenheit darf dabei sichtbar werden: Man darf Neues kennenlernen und bleibt dennoch Teil der Gemeinschaft.

Wir dürfen auch wertschätzen, was unsere reformierte Tradition mitträgt. Und ich sehe, dass es junge Menschen gibt, die sich aus eigenem Antrieb in Kirche und Gottesdienst einbringen, wenn wir ihnen Raum geben.

Wie könnte es unserer Kirchgemeinde gelingen, mehr jüngere Menschen und Familien dauerhaft zu erreichen?

Es braucht Beständigkeit und eine offene, herzliche Atmosphäre, in der Mitarbeitende präsent sind und Raum zum Sein, Austauschen und Innehalten schaffen.

Persönliche Begegnungen sind entscheidend: Menschen, die auf andere zugehen; Gemeinschaft, die merkt, wenn es jemandem nicht gut geht. Wir brauchen gute Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die die Arbeit der Kirchgemeinde und die christliche Botschaft in ihre Quartiere und Beziehungen tragen und andere motivieren, teilzunehmen.

Wichtig ist auch, dass Menschen durch unsere Arbeit motiviert werden, Nächstenliebe konkret in ihrem Alltag zu leben.

Interreligiöser Dialog ist dir ein Herzensanliegen. Wer braucht Ökumene am Nötigsten?

Ökumene und interreligiöser Dialog sind nicht dasselbe: Ökumene bedeutet für mich die Zusammenarbeit der Kirchen mit Christus im Zentrum, während wir im interreligiösen Dialog die Ehrfurcht vor dem Schöpfer, den Einsatz für Frieden und die Bewahrung der Schöpfung teilen.

Beides lebt von persönlichen Begegnungen auf Augenhöhe, vom gegenseitigen Fragenstellen und voneinander lernen. Es braucht den Mut, sich verletzlich zu zeigen und echte Freundschaften zu pflegen, um Vorurteile abzubauen und gesellschaftlichen Frieden zu fördern.

Sowohl die ökumenische als auch die interreligiöse Zusammenarbeit bleibt jedoch fragil und muss immer wieder neu gepflegt werden. Gemeinsam können wir auch politisch für die Anliegen von Glaubenden eintreten und den gemeinschaftsstiftenden Aspekt von Glauben stärken.

Welche positive Hebelwirkung hat die Evangelische Allianz Wil zusammen mit der Katholischen Kirche?

Ich bin überzeugt, dass fehlende Zusammenarbeit unserer Botschaft die Glaubwürdigkeit nimmt. Wenn wir Spannungen gemeinsam aushalten, statt uns zu isolieren, können wir als Kirchen in der Gesellschaft präsenter und wirksamer bleiben.

Gute Zusammenarbeit gelingt, wenn wir uns als Ergänzung und nicht als Konkurrenz sehen.

Welche Herzensprojekte hättest du gern noch angestossen?

Ich hätte die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen noch stärker ermutigt, ihre Bedürfnisse einzubringen, Kirche mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen – und mir noch mehr Zeit genommen, ihnen zuzuhören.

Würde ich noch länger da bleiben, hätte ich die ökumenische Zusammenarbeit gern noch breiter ausgebaut, etwa mit den Jungen (z. B. mit einer erneuten Reise nach Taizé oder indem ich die Friedenslicht-Aktion auf ökumenischer Basis organisiert hätte). In der Allianzarbeit hätte ich mich gerne noch stärker engagiert.

Besonders gern hätte ich wieder einen Konfjahrgang begleitet, weil ich nun besser weiss, was mir entspricht und ich meine Erfahrungen von Anfang an einbringen könnte. Die tolle Arbeit des Konfteams hätte ich gerne weiter unterstützt und mitgestaltet und die einzelnen Beteiligten noch besser kennengelernt.

Dein nächster Wohnort wird New York sein, sicherlich ein grosser Schritt: Inwiefern könnte er auch geistlich ein «Next Step» für dich werden?

Ich hoffe, dass dieser Schritt meinen Horizont weitet. Ich werde mir in New York eine kirchliche Gemeinschaft suchen, weil mir Struktur und Rhythmus Halt und Heimat geben – das habe ich bereits während meines Jahres in Paris erlebt.

Ich freue mich darauf, neue Menschen kennenzulernen und meinen Glauben in einer neuen Umgebung weiterzuleben und einzubringen.


Liebe Bettina, wir danken dir von Herzen für dein Wirken unter uns und wünschen dir Gottes Segen und behütete Wege im «Land of Opportunity» – mögest du auch dort Gemeinschaft und Heimat finden.

Die Fragen stellte Kai Friedrich
Evangelische Kirchgemeinde Wil
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Die Kreuzkirche ist täglich von 07.00 bis 19.00 Uhr für individuelle Besuche geöffnet.
Bereitgestellt: 03.07.2025     Besuche: 206 Monat